Gute Nachbarschaft: Der Ton macht die Musik

Viele Streitigkeiten unter Nachbarn könnten vermieden werden, wenn die Beteiligten sich in die Lage des jeweils anderen versetzen würden. Oft führen Missverständnisse zum Streit. Rechtsanwalt Stephan Dingler kennt das aus seiner Arbeit als Rechtsberater und plädiert für mehr Kompromissbereitschaft.

Ein älterer und ein jüngerer Mann reichen sich am Gartentor lächelnd die Hand  © koldunova_anna – stock.adobe.com
Viele Streitigkeiten könnten durch ein sachliches Gespräch vermieden werden. 

Im Sinne einer guten Nachbarschaft

Wir Menschen sind manchmal schon recht seltsam! Etwa, wenn wir wie selbstverständlich davon ausgehen, dass unsere Mitmenschen genauso denken müssten wie wir. Ein Beispiel, wie es in diesem Sommer vielleicht in vielen Nachbarschaften passiert sein könnte: Wir sitzen an einem lauen Sommerabend gegen 20 Uhr im Garten und wollen die Ruhe genießen. Doch gefühlt zum dritten Mal innerhalb einer Woche haben sich die Nachbarn wieder Grillbesuch eingeladen und wir wissen schon jetzt: Es wird wieder laut. „Die müssen doch langsam mal merken, dass das so nicht geht!“, denkt man sich vielleicht in dieser Situation und wird entsprechend wütend.
Aber mal ehrlich, woher soll der Nachbar denn eigentlich wissen, was wir gerade denken? Denn vermutlich bewertet er die Situation aus seiner Sicht komplett anders: „Spätestens um 22 Uhr gehen wir rein ins Wohnzimmer, denn wir wollen die Nachbarn nicht stören.“

Ein scharfes Wort zu viel

Wenn der Nachbar, der die Ruhe in seinem Garten genießen möchte, nun entnervt über den Zaun schaut und in seiner Wut sprichwörtlich „ein Fass aufmacht“, ist Ärger vorprogrammiert. Ein scharfes Wort zu viel reicht oft schon, um die Stimmung auf lange Zeit zu vergiften, zumal sich der grillende Nachbar vermutlich gar keiner Schuld bewusst ist. Es geht schließlich auch anders. In solchen Situationen hilft es, sich sachlich auszutauschen und mit der richtigen Wortwahl für eine gute nachbarschaftliche Stimmung zu sorgen. Denn der Ton macht eben die Musik.
Dies sollte man sich immer wieder bewusst machen, wenn einen gerade etwas am Verhalten seines Nachbarn stört. Besser ist es in solch einem Fall, den Adrenalinspiegel sinken zu lassen und erst dann das Gespräch zu suchen, anstatt direkt mit Beschuldigungen loszulegen. Denn grundsätzlich sollten wir immer davon ausgehen, dass auch der grillende Nachbar offen für Argumente und Kompromisse ist.

Kompromisse machen und Dialogbereitschaft zeigen

Übrigens bedeutet Kompromiss, dass es für beide Seiten zu einer akzeptablen Lösung kommt. Niemand sollte davon ausgehen können, dass sich immer nur die eigenen Interessen durchsetzen lassen. Und wenn man ehrlich ist, besteht das gesamte Leben aus Kompromissen – sei es bei der Arbeit, in der Familie, bei der Wahl des Urlaubsortes oder der Farbe für das Wohnzimmer. Auch bei diesen Dingen sind wir Menschen in der Regel bereit zum Dialog und gehen Kompromisse ein – manchmal mit einem guten und manchmal aber auch mit einem nicht so guten Gefühl. Warum also nicht auch, wenn es um die Nachbarschaft geht?

Miteinander reden und Streit vermeiden

„Viele Streitigkeiten, die an uns herangetragen werden und die vor dem Schiedsmann oder den Gerichten landen, wären vermutlich gar nicht erst entstanden, wenn die beiden Parteien rechtzeitig und vernünftig miteinander geredet hätten“, ist sich Stephan Dingler, Rechtsberater des Verbands Wohneigentum NRW e.V., sicher. Von daher auch sein Appell im Sinne einer guten Nachbarschaft: „Nutzen wir unsere Fähigkeit, miteinander zu reden und schimpfen nicht direkt auf den anderen ein oder drohen gar mit dem Anwalt. In der Regel ist der Nachbar nicht böse und will uns auch nicht ärgern. Er ist sich vielleicht nur der Ansichten des anderen nicht bewusst. Im Gespräch kann man sich aber annähern, seine Position erläutern und nicht zuletzt einen guten Kompromiss finden.“
Stephan Dingler ist überzeugt, dass sich über die Hälfte der offen ausgetragenen Streitigkeiten vermeiden ließen, wenn die Leute rechtzeitig miteinander sprechen würden. Trotzdem wird es immer wieder auch Situationen geben, in denen man mit seinem Anliegen „auf taube Ohren stößt“. Aber dies bleibt eher die Ausnahme, denn die meisten Menschen sind an einer guten Nachbarschaft interessiert und bereit, dafür auch einiges zu tun – oder eben auch mal zu lassen.